Mohamed Ibrahim

Aus "Goldspur der Garben" von Tschingis Aitmatov (1928 - 2008)

"Dazu möchte ich noch sagen, dass wahres unverfälschtes Glück, wie ich es verstehe, kein Zufall ist; es fällt einem nicht unversehens in den Schoß wie ein Apfel vom Baum, sondern es kommt allmählich zum Menschen, je nachdem, wie er sich zum Leben, zu den Menschen, die ihn umgeben, verhält; ein Körnchen kommt zum anderen, eins ergänzt das andere, und schließlich entsteht, was wir Glück nennen."

"Lange verharrte ich so und hatte nicht mal die Kraft, das Tuch aufzuheben, das mir vom Kopf geglitten war. Da gewahrte ich die Ameisen, die, eine hinter der anderen, den kleinen Pfad entlang krabbelten. Auch sie arbeiteten, schleppten Stroh und Körner und ahnten nicht, dass neben ihnen ein Mensch mit seinem Kummer saß, ein ebenso arbeitsames Wesen wie sie, das in dieser Minute sogar sie, die Ameisen, diese unermüdlichen Arbeiter, beneidete. Sie konnten ruhig ihrer Arbeit nachgehen. Wäre nicht Krieg gewesen, hätte ich sie dann jemals um ihr Ameisendasein beneidet? Ich schätme mich geradezu ...."

"Güte liegt nicht auf dem Weg, man liest sie nicht zufällig auf. Güte lernt ein Mensch vom anderen."

"Das menschliche Leben gleicht einem Bergpfad: Mal geht's aufwärts, mal abwärts, dann wieder gähnt jäh ein Abgrund. Für den einzelnen ist er oft nicht zu bezwingen, doch alle gemeinsam schaffen es ... So ist es nun mal in unserem nichtigen Leben ..."

"Doch die Menschen sind verschieden. Einige vergessen ihr Leid schnell und beginnen rasch einen neuen Lebensweg, andere aber treten qualvoll, verzweifelt auf der Stelle, unfähig, über das Vergangene hinwegzukommen."

"Sag mir, Mutter Erde, sag mir die Wahrheit: Können die Menschen leben ohne Krieg?
Eine schwierige Frage hast du mir da gestellt, Tolgonai. Es gab Völker, die durch Kriege ausgerottet wurden, es gab Städte, die in Schutt und Asche fielen, und es gab Jahrhunderte, da ich davon träumte, eine menschliche Spur zu finden. Und jedesmal, wenn die Menschen wieder einen Krieg anzettelten, rief ich ihnen zu: ›Haltet ein, lasst das Blutvergießen!‹ Und auch jetzt wiederhole ich: ›Ihr Menschen hinter den Bergen und Meeren! Ihr Menschen auf der ganzen Welt, was fehlt euch – Land? Hier bin ich – das Land, die Erde! Ich bin für euch alle dieselbe, und für mich seid ihr alle gleich. Nicht euren Hader brauche ich, sondern eure Freundschaft, eure Arbeit! Werft ein einziges Korn in die Furche, und ich gebe euch hundert Körner dafür zurück. Steckt ein winziges Reis in den Boden, und ich ziehe euch eine Platane groß. Legt einen Garten an, und ich überschütte euch mit Früchten. Züchtet Vieh, und ich werde Gras sein. Baut Häuser, und ich werde Mauer sein. Pflanzt euch fort, vermehrt euch, und ich werde euch allen eine herrliche Heimstatt sein. Ich bin unendlich, ich bin grenzenlos, ich bin tief, und ich bin hoch, ich habe Platz für euch alle!‹ Und da fragst du noch, Tolgonai, ob die Menschen ohne Krieg leben können. Das hängt nicht von mir ab, das hängt von euch Menschen ab, von eurem Willen und eurem Verstand."

"Wenn zwei Menschen ein Herz und eine Seele sind, verstehen sie einander auch ohne Worte."

"Seltsam, wie wenig doch der Mensch braucht! Manchmal genügt ein einziges gutes Wort, damit er ins Leben zurückfindet."

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Aus "Die Welt von Gestern" von Stefan Zweig (1881 - 1942)

"Denn es war kein Jahrhundert der Leidenschaft, in dem ich geboren und erzogen wurde. Es war eine geordnete Welt mit klaren Schichtungen und gelassenen Übergängen, eine Welt ohne Hast. Der Rhythmus der neuen Geschwindigkeiten hatte sich noch nicht von den Maschinen, von dem Auto, dem Telephon, dem Radio, dem Flugzeug auf den Menschen übertragen, Zeit und Alter hatten ein anderes Maß. Man lebte gemächlicher, und wenn ich versuche, mir bildhaft die Figuren der Erwachsenen zu erwecken, die um meine Kindheit standen, so fällt mir auf, wie viele unter ihnen frühzeitig korpulent waren. Mein Vater, mein Onkel, meine Lehrer, die Verkäufer in den Geschäften, die Philharmoniker an ihren Pulten waren mit vierzig Jahren alle schon beleibte, würdige Männer. Sie gingen langsam, sie sprachen gemessen und strichen im Gespräch sich die wohlgepflegten, oft schon angegrauten Bärte. Aber graues Haar war nur ein neues Zeichen für Würde, und ein gesetzter Mann vermied bewußt die Gesten und den Übermut der Jugend als etwas Ungehöriges. Selbst in meiner frühesten Kindheit, als mein Vater noch nicht vierzig Jahre alt war, kann ich mich nicht entsinnen, ihn je eine Treppe hastig hinauf- oder hinunterlaufen gesehen zu haben oder überhaupt etwas in sichtbarer Form hastig zu tun. Eile galt nicht nur als unfein, sie war in der Tat überflüssig, denn in dieser bürgerlich stabilisierten Welt mit ihren unzähligen kleinen Sicherungen und Rückendeckungen geschah niemals etwas Plötzliches; was von Katastrophen sich allenfalls draußen an der Weltperipherie ereignete, drang nicht durch ..."

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Aus "Robinson Cruso" von Daniel Defoe (1660 - 1731)

"Der Mensch, der Tag für Tag seinen Vergnügungen nachjagt, wird seiner Laster am Ende überdrüssig und erntet zuletzt nur Trauer und Reue, der Mensch der Arbeit aber vergeudet seine Kräfte im täglichen Kampf ums Brot, nur um sich die Lebenskräfte zu erhalten, die er zu seiner Arbeit braucht. So leben sie in einem traurigen Kreislauf: sie leben, um zu arbeiten, und arbeiten, um das Leben zu fristen, gerade als ob das tägliche Brot der einzige Sinn eines müheseligen Daseins wäre und dieses müheselige Dasein uns nur dazu gegeben sei, um das tägliche Brot zu verdienen."

"Auch der Klügste soll sich nichts auf die Schärfe seines Urteils einbilden, als ob er fähig wäre, sich eine besondere Stellung im Leben auszusuchen. Der Mensch ist ein kurzsichtiges Wesen, er kann nur eine ganz kleine Strecke seines Wegs überschauen."

"Die höchste menschliche Weisheit besteht darin, seinen Charakter den äußeren Umständen anzupassen und die innere Ruhe auch unter dem Druck der schwersten äußeren Stürme zu bewahren."

"Wenn ein vernünftiger Mensch einmal so weit gekommen ist, sich über den Wert des Lebens im allgemeinen klar zu werden und zu erkennen, wie wenig diese Welt zum wahren Glück verhilft, ja überhaupt glücklich machen und volle Zufriedenheit schenken kann oder den eigenen Zwecken und Wünschen entspricht, so verlangt er nicht mehr viel von dieser Welt: ein wenig Luft zum Atmen, Nahrung um das Leben zu erhalten, Kleider zum Schutz gegen Kälte und freie Bewegung für die Gesundheit, das ist alles, was die Welt für uns tun kann."

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Aus "Die Stimme der Rose" von Serdar Özkan

"Es war einmal eine Welle, die durch den Ozean rollte und sich am warmen Sonnenschein und der leichten Brise erfreute. Lächelnd rollte sie dem Land entgegen. Doch dann merkte sie plötzlich, dass die Wellen vor ihr eine nach der anderen an den Felsen zerschellten und sich in Gischt auflösten. ‚O Gott’, rief die Welle entsetzt, ‚mir ergeht es genauso. Gleich werde ich von den Felsen zerschlagen werden und verschwinden.’ In diesem Moment bemerkte eine andere Welle ihre Panik. ‚Was ist los? Warum bist du traurig? Sieh doch nur, wie schön die Sonne scheint, und fühle den Wind …’ Da rief die erste Welle: ‚Ja, siehst du denn nicht, wie die anderen Wellen gegen die Klippen kämpfen und wie schrecklich sie untergehen? Uns wird es nicht anders ergehen.’ Darauf tröstete sie die andere: ‚Oh, das siehst du ganz falsch. Du bist doch nicht einfach nur eine Welle, sondern ein Teil des großen Ozeans.'"

"Es wird immer Menschen geben, die an etwas glauben, das andere verneinen. Der Tag existiert nur, weil es die Nacht gibt, und umgekehrt definiert sich die Nacht durch den Tag." 

"Gott lässt uns nicht ohne Nachricht. Erst recht dann nicht, wenn jemand mit ganzem Herzen auf Nachricht wartet. Seine Allmacht lässt nicht zu, dass die, die er erschaffen hat, unwissend bleiben. Manche glauben, dass Gott viel zu groß ist, um sich mit unseren alltäglichen Sorgen zu befassen. Doch das Gegenteil ist richtig. Er ist so groß und allmächtig, weil ihn auch die kleinste Einzelheit unseres Lebens kümmert."

"Wahre Liebe erniedrigt die Liebenden nicht, sondern richtet sie auf."

"Nur wer Mut hat, das Gute hinter sich zu lassen, kann das Bessere erreichen."

"Für außergewöhnliche Menschen ist das Außergewöhnliche ganz normal."