Mohamed Ibrahim

Wolfsburg, Freitag 29.01.2010 

Thema: Gut und besser, wichtig und wichtiger! 

Liebe Brüder und Schwestern, 

eines Tages saß ein Gelehrter mit seinen Schülern zusammen.

Er hatte ein großes Glas mitgebracht und Steine in verschiedenen Größen. Er sagte zu ihnen: „Ich möchte mit euch heute ein Experiment durchführen.“

Er nahm die größten Steine, die er bei sich hatte, und tat sie in das Glas vor sich, dann fragte er: „Was meint ihr - ist das Glas jetzt voll?“

Dies bejahten die Schüler. Dann nahm er die kleineren Steine und tat sie ebenfalls in das Glas.

Sie fanden alle Platz in den Zwischenräumen zwischen den großen Steinen.

Wieder fragte er die Schüler: „Ist das Glas nun voll?“

Wiederum mussten dies die Schüler bejahen. Am Ende nahm er Sand und füllte ihn ins Glas. Dieser füllte die restlichen Zwischenräume der größeren Steine vollends auf. Da sagte er zu seinen Schülern:

„So wie dieses Glas und die Steine verschiedener Größen ist auch euer Leben und auch die Dinge in eurem Leben. Die die wichtig sind und die, die nicht so wichtig sind. Fangt immer mit den großen Steinen an beim Einfüllen! Denn würdet ihr mit dem Sand beginnen, so wäre das Glas – also euer Leben – voll mit den unwichtigeren Dingen, und es gäbe keine Zwischenräume für die wichtigen Dinge! Denn der Sand füllt das Glas komplett und lässt keine Zwischenräume. Beginnt ihr jedoch mit den wichtigen Dingen, so bleibt genug Zwischenraum für die weniger wichtigen Dinge, hier in diesem Experiment den Sand!“ 

Diese Geschichte ist ein Gleichnis, das wir heute eingangs benutzen wollen, um über ein wichtiges Thema zu sprechen, das Verstehen und das Setzen von Prioritäten. Früher haben die Gelehrten von so genannten „Stufen“ bei den Taten gesprochen, dass manche Handlungen besser seien als andere.

Allah sagt im Koran: „Stellt ihr etwa die Tränkung der Pilger und das Bevölkern der geschützten Gebetsstätte (den Werken) dessen gleich, der an Allah und den Jüngsten Tag glaubt und sich auf Allahs Weg abmüht? Sie sind nicht gleich bei Allah.“ (Koran 09:19)

Hier sagt uns Allah, dass es doch Handlungen, Taten und religiöse Pflichten gibt, die wichtiger sind als andere, und die dann auch entsprechend Priorität haben vor anderen. 

Auch die Zeit, in der man eine bestimmte Handlung vollzieht, ist entscheidend:

Je nachdem, wie die Umstände sind, unter denen man eine Tat oder Handlung unternimmt, ist die eine richtiger oder wichtiger als eine andere. Deswegen hat Allah gesagt: „Nicht gleich sind diejenigen von euch, die vor dem Sieg ausgegeben und gekämpft haben, ... Diese haben eine höhere Rangstufe als diejenigen, die erst nachher ausgegeben und gekämpft haben. Allen aber hat Allah das Beste versprochen. Und Allah ist dessen, was ihr tut, Kundig.“ (Koran 57:10)

Also beiden hat Allah Gutes versprochen, aber die einen sind eben besser als die anderen bei ihm, die sich in einer schwierigen Zeit für die Sache Allahs eingesetzt haben.

Weil es den Gefährten des Propheten (s) wichtig war, durch welche Tat man Allah näher kommen kann, haben sie immer wieder den Propheten (s) gefragt: „Welche Tat ist Allah am liebsten?“

Und der Prophet (s) hat unterschiedliche Antworten gegeben!

Einmal sagte er: „Zuerst der Glaube an Allah und seinen Gesandten, danach der Dschihad auf dem Wege Allahs, also der Einsatz, das Bemühen, auf dem Wege Allahs, und drittens dann eine gute, eine rechtschaffene Pilgerfahrt.“

Eine andere Antwort des Propheten (s) war: das Gebet zu der rechten Zeit stünde an erster Stelle, und an zweiter Stelle, dass man rechtschaffen, gütig und freundlich gegenüber seinen Eltern handelt, und an dritter Stelle der Einsatz und das Bemühen auf dem Wege Allahs.

In einer anderen Überlieferung hat er an dritter Stelle gesagt, dass die Menschen allgemein vor der Zunge des Muslims in Frieden sein sollen, was heißt, dass man mit seiner Zunge, mit seinen Worten andere nicht angreifen, beleidigen oder über andere lästern soll.

Ein anderes Mal, als der Prophet (s) gefragt wurde, welche Tat Allah denn am liebsten sei, da sagte er: das Dauerhafte, auch wenn das wenig sei.

Wir sehen, einmal nannte der Prophet Taten – Dinge, die man tun kann – ein anderes Mal hat der Prophet (s) über die Art und Weise, wie man eine Handlung vollzieht, gesprochen, je nachdem, wie man die Frage stellte und je nach der Einschätzung des Propheten (s), welche Antwort der Fragende gerade braucht. Dementsprechend waren die Antworten des Propheten (s) unterschiedlich.

Zurück zu der eingangs erzählten Geschichte – liebe Brüder und Schwestern:

- Jeder von uns hat die Aufgabe, für sich klar zu definieren, was einem in seinem Leben wichtig ist und auch, was wichtig und weniger wichtig ist, damit man mit den wichtigen Dingen im Leben anfängt:

auf der einen Seite, um das Wohlgefallen Allahs zu erreichen, auf der anderen Seite aber auch, um ein gutes Leben führen zu können, in seinem Leben auch glücklich sein zu können.

Die Religion zum Beispiel ist sehr wichtig, und soll eben auch deswegen den entsprechenden Platz im Leben eines jeden Muslims einnehmen. Das ist die eine Sache, die andere ist die, dass innerhalb der Religion verschiedene Handlungen oder religiöse Pflichten da sind, von denen manche wichtiger sind als andere, und entsprechend soll man diese zuerst vollziehen, bevor man mit den weniger wichtigen Dingen anfängt.

Deswegen hat uns Allah gesagt: „Das Beste, womit mein Diener mir näher kommen kann ist das, was ich ihm zur Pflicht gemacht habe.“

Gemeint sind die Säulen der Religion, die sind wichtig. Und danach eben die empfohlenen oder die freiwilligen Handlungen.

Auch die Zeit muss berücksichtigt werden, weswegen Abu Bakr, der erste Nachfolger des Propheten (s) seinem Nachfolger Omar – möge Allah mit beiden zufrieden sein – sagte:

„Und wisse, dass es Dinge gibt, die Allah von uns am Tag erwartet und die er in der Nacht von uns nicht annimmt, und umgekehrt, dass es Dinge gibt, die wir in der Nacht vollziehen sollen, und die Allah am Tag nicht annimmt, und wisse, dass eine freiwillige Tat von Allah nicht angenommen wird, wenn man nicht vorher die religiösen Pflichten erfüllt.“

- Als der Prophet Ibrahim und sein Sohn Isma’il Allah darum baten, für die Muslime einen Propheten zu senden, sprachen sie: „Unser Herr, schicke zu ihnen einen Gesandten von ihnen, der ihnen Deine Worte verliest und sie das Buch und die Weisheit lehrt und sie läutert. Du bist ja der Allmächtige und Allweise.“ (Koran 02:129)

Dieses Bittgebet hat Allah angenommen. Nur die Reihenfolge änderte Allah. „So, wie Wir zu euch einen Gesandten von euch geschickt haben, der euch Unsere Worte verliest und euch läutert und euch die Schrift und die Wahrheit lehrt und euch lehrt, was ihr nicht wusstet.“ (Koran 02:151)

Das heißt, diese Läuterung, diese Reinigung, der gute Charakter, die gute Beziehung zu Allah und zu den Menschen ist wichtiger und hat Priorität vor der Wissensaneignung.

Bevor man sich Wissen aneignet und sich mit verschiedenen Fragen der Religion beschäftigt und auseinandersetzt, ist es wichtig, dass man sein Herz reinigt, läutert, eine gute Beziehung zu Allah hat, in der diese Aufrichtigkeit gegenüber Allah gegeben ist, und auch der freundliche und gerechte Umgang mit den Menschen im Sinne eines guten Charakters zu haben.

Und deswegen hat der Prophet (s) ebenfalls geantwortet auf die Frage, welche Tat denn Allah am liebsten sei: Die Güte des Charakters!

- Es ist wichtig, dass man bei sich anfängt, dass man die eigenen Fehler sieht vor den Fehlern anderer, und dass man bei sich anfängt und versucht, diese zu korrigieren, bevor man andere ermahnt! Entsprechend sagt Allah: „Beim Zeitalter! Der Mensch befindet sich wahrlich in Verlust, außer denjenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun und einander die Wahrheit eindringlich empfehlen und einander die Standhaftigkeit eindringlich empfehlen.“ (Koran 103:1-3)

Zuerst den Glauben bei sich verinnerlichen, das Gute tun und dann die Menschen aufrufen, sie entsprechend zu ermahnen und mitzunehmen.

- Es gibt verschiedene Menschen, mit denen man zu tun hat, und verschiedene, die Rechte einem gegenüber haben! Deswegen ist es wichtig, dass man gegenüber diesen Menschen einen freundlichen und gerechten Umgang pflegt, also einen guten Charakter, und dass man auch die Rechte dieser Menschen erfüllt:

Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist wichtig, und soll in beide Richtungen gepflegt werden, dass die Eltern sich um die Kinder kümmern und versuchen, sie in Liebe und Geborgenheit groß zu ziehen, aber auch, dass die Kinder gegenüber den Eltern den entsprechenden Respekt haben und auch den freundlichen Umgang.

Genauso wichtig ist der Umgang zwischen Eheleuten: Gerechtigkeit, Zuneigung, Liebe, freundlicher Umgang.

Dazu gehört auch, dass der Muslim in seiner Beziehung zu den anderen Muslimen, vor allem zu denjenigen, die man immer wieder sieht, mit denen man immer wieder in gleicher Reihe betet und vor Allah steht, ein reines, sauberes Herz gegenüber diesen Menschen hat und versucht, eine gute Beziehung zu ihnen zu haben.

Und so weiter, bis der Mensch einen guten Charakter und einen guten Umgang mit allen Menschen hat.

Es gibt gut und es gibt besser, es gibt wichtig, und es gibt wichtiger, und es ist eben die Aufgabe jedes Einzelnen von uns, dass man klar für sich definiert, was einem wichtig ist und dass man dann entsprechend handelt, auf der einen Seite, um das Wohlgefallen Allahs zu erreichen, auf der anderen Seite, um hier in diesem Leben glücklich leben zu können.

Möge Allah der Erhabene uns zu seinen rechtschaffenen Dienern zählen lassen, Amen!